Susann Dubs – Schöner Abfall

Ausstellung: Antiquariat und Galerie im Rathausdurchgang, Stadthausstrasse 57, 8400 Winterthur (20. Mai – 1. Juli 2017)

Einladende Farben leuchten auf, spannende Umrisse fordern zum Erkunden auf. Man nähert sich neugierig, beginnt zu rätseln, was man denn Abbildhaftes sieht, und langsam dämmert es einem, dass das, was man soeben eingehend betrachtet hat, nichts anderes ist als: Abfall. „Schöner Abfall“ – eben.

Organischer Abfall im grünen Kübel, bevor der Inhalt auf den Kompost wandert: aus der rätselhaften Landschaft wird eine Kompostlandschaft. Oder Plastikabfall, Flaschendeckel, Zündholzschachteln, kaputte Knöpfe, Gummiringe, zerknülltes Papier, nicht mehr gebrauchte Kleinigkeiten, die achtlos auf die Strasse geworfen werden.

Susann Dubs‘ Blick für das Lehrreiche im Unscheinbaren

Das Gefühl des Skurrilen stellt sich bald ein, angelernte Abwehrmechanismen kämpfen mit der Offenheit des Betrachters, auch im Hässlichen Schönheit zu finden. Dieses Nebeneinander von Anziehungskraft und Abstossung, von Ästhetik und Ordinärem, das ist letztlich das Ineinandergreifen von Leben und Tod.

Dubs Susann, 2017, Schöner Abfall, Öl auf Holz, ca. 15x15cm, Privatbesitz
Susann Dubs, 2017, Schöner Abfall, Öl auf Holz, ca. 15x15cm, Privatbesitz

Die Einsicht in den Kreislauf des Werdens und Vergehens stellt sich plötzlich ein: aus dem, was seinen Dienst getan hat, wird künstlerisch Neues geschöpft – als künstlerisches Werk. Aus dem, was aus dem Sinnzusammenhang des Lebens und Tuns herausfällt, erwächst die Möglichkeit eines tieferen Verständnisses: „Mensch, erinnere dich an den Tod – memento mori“. In Zeichnung und in Malerei wird der Betrachter angelockt, aber das Schöne entpuppt sich als Vergänglichkeitssymbol. Die Irritation, die sich einstellt, ist demnach erwünscht: sie ebnet den weiteren gedanklichen Weg.

Susann Dubs lässt uns an ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem, was wir Abfall nennen, teilhaben. Abfall – von Abfallen, wie vom Tisch fallen, wenn es da keinen Platz und keine Verwen-dung mehr hat. Hier ist jedoch die Wertschätzung umgekehrt: sogenannter Abfall wird hier bewusst gesucht, ins Bild gerückt und sozusagen porträtiert, in packenden, mittelgrossen und kleinformatigen Stillleben.

Es ist regelrecht eine Einsicht, die als Ergebnis eines Erkenntniswegs im wortwörtlichen Sinn zu verstehen ist. Wer kennt das nicht, das Betrachten um des Sehens und um des Verständnisses willen? Hier wird der Blick bewusst auf Dinge gelenkt, durch die man Einsichten gewinnen kann: auf Spalten, Türöffnungen, halboffene Schubladen und Schäfte. So fällt der Blick auf Umrisse und auf die Strukturen, die sich in der Öffnung zeigten. Es offenbaren sich dabei nicht nur wertvolle Gegenstände, sondern auch das, was „ent-rückt“ werden sollte – unter anderem auch Abfall, aussortiert und in Behältnisse gesteckt.

Metaphorisch sind das unangenehme Dinge, die als belastend und überflüssig angeschaut werden, nun aber zurück ins Bewusstsein gerufen werden. Allerdings werden sie zeichnerisch und malerisch gewissermassen geadelt, womit von vornherein ein wohlwollender Umgang mit ihnen vorbereitet wird. Der Umgang mit schönem Abfall als sinnstiftender Schritt wird offensichtlich.

Susanne Dubs sieht vielerlei Werte im achtlos Weggeworfenen

Die rein malerische Auseinandersetzung mit den Dingen und ihrer Oberfläche, mit den Strukturen, mit dem Spiel des Lichts: anstatt anhand von Gegenständen oder Kleidungsstücken, vom Faltenwurf an Mänteln und Kleidung… „drappeggio“ kann man doch auch – wieso nicht? – an Abfallsäcken beobachten, die am Strassenrand aufs Abtransportiertwerden warten. Solche Abfallsäcke tauchen als Zeichnungen mit Kugelschreiber auf, auf Zeitungspapier (sinnigerweise der „Zeit“), das mit Dispersionsfarbe verstärkt wurde.

Lineare Strukturen, Netzgebilde, wie sie an dehnbarem Verpackungsmaterial vorzufinden ist: ihnen begegnet man auf wiederverwendetem Karton von Verpackungsschachteln.

Die in langer Reihung gehängten, kleinformatigen, mit Ölfarben bemalten Holztäfelchen zeigen naturalistisch und in Originalgrösse 1:1 gemalte Darstellungen von Abfall: sie entpuppen sich als ein Eldorado an Vielfalt ihrer Formen, Farben und Materialien. Jemand warf die Gegenstände weg, und sozusagen als Kuriositäten und durch Zufall einer zerstörerisch gemeinten Einwirkung (eine Hand drückte sie zusammen; ein Fusstritt verformte sie) zum Unikat geworden, leben sie nun hier weiter. Das Thema des Wiederauflebenlassens zieht sich konsequent durch: die Holztäfelchen der Stillleben stammen aus Abfallholz aus der Bühnenbildnerei im Opernhaus Zürich. Die Ölfarbe ist ebenfalls recyclet, z.T. ist sie 50jährig.

Zwischen augenzwinkernder Leichtigkeit und vorbildlicher Ausführung stecken die tiefschürfendsten Gedanken. Denken wir an Susann Dubs‘ Fingerzeige, wenn wir das nächste Mal „Abfall“ produzieren.

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